Sei ganz du selbst! – Sprachbegleitete Klangarbeit mit Klangschalen

In diesem Beitrag von PD Dr. Uwe H. Ross aus unserer Fachzeitschrift 2018 bekommst du wertvolle Einblicke, wie dich Klang und Sprache dabei unterstützen, ganz du selbst zu sein. So stärkst du deine Präsenz, Ausstrahlung und steigerst Gefühle von Selbstsicherheit, Lebensfreude und Leichtigkeit!

Übrigens kannst du den Arzt, Therapeuten und Coach auch bei unserem Jubiläums-Klangkongress vom 1.-3. März 2024 erleben.

Selbstresonanz und Selbststeuerung – mit Klang und Sprache im Dialog mit dem Selbst

von PD Dr. Uwe H. Ross (erschienen in der Fachzeitschrift Klang-Massage-Therapie 2018, S. 10-17, Hrsg.: Internationaler Fachverband Klang-Massage-Therapie e.V.)

Zusammenfassung: „Am liebsten bin ich ganz ich selbst, aber ich komme so selten dazu.“ – Arbeitslast, Effektivitäts- und Zeitdruck fordern unsere Ich-Instanz (willkürlich-absichtsvoll arbeitend) und wirken auf Dauer erschöpfend. Der Zustand „Ganz-man-selbst“ zu sein ist dagegen gekennzeichnet von Präsenz, Ausstrahlung, von Gefühlen der Selbstsicherheit, Kraft, Lebendigkeit, Kreativität, Freude und Leichtigkeit im Tun („wie von selbst“). Wie lässt sich dieser Zustand nähren? Im folgenden Beitrag werden die Möglichkeiten der sprachbegleiteten Klangarbeit beleuchtet, die in wenigen Schritten den Zugang zum Selbst ermöglichen und unwillkürliche Erlebnisprozesse auf gewünschte Weise ausrichten, um öfter „Ganz-man-selbst“ zu sein und das Ich zu entlasten. Neben Selbstresonanz und Selbstgewahrsein wird zudem die Selbststeuerungsfähigkeit des Klienten gefördert, d.h. der ko-kreative Dialog zwischen Ich und Selbst, der den alltäglichen „Einladungen“ zur Selbstentfremdung entgegenwirkt.

Einleitung

Die zunehmende Beschleunigung unserer auf Wachstum basierenden Wettbewerbsgesellschaft bei begrenzten Zeitressourcen lässt immer weniger Raum für Selbstwahrnehmung und Resonanz mit sich selbst und birgt daher das Risiko einer zunehmenden Entfremdung von sich selbst und der Welt (Rosa 2016). Die oben genannten Alltagsbedingungen triggern fortlaufend unsere verstandesmäßige Ich-Instanz, die – da sie vergleichsweise schnell arbeiten – dann zunehmend die alleinige Vorherrschaft in der Lebensgestaltung übernimmt. Im Alltagsverständnis der meisten Menschen hat sich so die Überzeugung gefestigt, das Leben müsse willentlich, zielgerichtet und rational geplant und gesteuert werden, nach dem Motto: „Wenn ich es nicht mache, dann läuft nichts. Von selbst kommt nichts.“ Die zunehmende Ratgeberliteratur zu allen Bereichen unseres Lebens mag ein Ausdruck dafür sein, dass wir unter dem Druck der Selbstoptimierung zunehmend rationale Entscheidungs- und Handlungshilfen im Außen suchen (Ratgeberliteratur, Internet) und verlernt haben, den gesunden Menschenverstand bzw. besser: unsere Intuition zu befragen und einzubeziehen.

Unser bewusstes Ich ist so einer immensen Reiz- und Informationsflut ausgesetzt und ständig in Aktion, angefeuert durch die Suggestionen innerer Antreiber im Kopf: Sei perfekt! Sei stark! Mach’ schnell! Halte durch! Mach’s allen recht! Diesen imperativen Suggestionen folgend („Ich muss …“) werden Tag ein Tag aus To-do-Listen abgearbeitet. Leider ist solcherart Lebens- und Arbeitsmodus – einseitig und auf Dauer betrieben – freudlos und erschöpfend, da er mit einer Aktivierung der Amygdala (Mandelkern) und entsprechenden Stressreaktionen einhergeht. Die heute so häufigen stress-assoziierten psychischen Störungen (Burnout-Zustände, Ängste, Depression, somatoforme Störungen) können somit als Ausdruck einer Erschöpfung des rationalen Ich (Ich-Erschöpfung) und einer Selbst-Entfremdung verstanden werden. Zeichen dieser Ich-Erschöpfung sind Gefühle von Überforderung, Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Verzweiflung, Orientierungslosigkeit, Entscheidungsschwäche, Frustration, Enttäuschung. Gerade diese Zustände sind es aber, die sich in unserer Zeit – geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA-Welt) – als Innovationshelfer erweisen können. Denn wenn der Verstand, das rationale Ich, mit seinen bisherigen Konzepten und Wissen nicht weiterweiß, eröffnen sich neue Lernerfahrungen, dann kann wirklich Neues erfahren werden. Was es dazu braucht, ist zum einen präsent zu bleiben und zum anderen den Mut, sich diesen vom Ich wenig geliebten, schwierigen Gefühlen zu stellen, d.h. mit dem Selbst in Kontakt zu gehen und zu bleiben – statt mehr desselben zu tun, sich abzulenken oder zu betäuben.

Was ist dieses „Selbst“?

Eine eindeutige, allgemeingültige Definition des Selbst gibt es nicht. Was wir alltagspsychologisch „das“ Selbst nennen, ist keine ontologische Substanz, sondern ein kontextabhängiger und wandelbarer dynamischer Vorgang (Metzinger 2012). Nach heutiger, neurobiologisch begründeter Auffassung (Kuhl 2010) ist die Instanz des Selbst durch Aspekte wie automatisch-unwillkürlich, körperlich, emotional, kreativ-intuitiv arbeitend gekennzeichnet. Der Instanz des Ich werden hingegen Eigenschaften wie willentlich-bewusst, rational arbeitend, linear-kausales Denken und Ergebnis-Orientierung zugeschrieben. Das Selbst operiert mit seiner immensen Integrationsbreite und -leistung und enormem kreativem Potenzial aus dem Unbewussten und ist der wichtigste „Informant“ des analytischen Ich. Hierin liegt ein enormes kognitiv-emotionales Entwicklungspotenzial: Bei guter Zusammenarbeit verdichtet das Ich immer wieder Erfahrungen des Selbst, bringt sie auf den Punkt und sucht nach generalisierbaren Regeln, die dann ins Selbst zurückgeführt werden. Durch den wechselseitigen Informationsaustausch mit dem Ich erhält das parallel arbeitende Selbst einen durch das Ich immer stärker verdichteten und immer „intelligenteren“ Input und kann entsprechend sein Integrationsniveau immer weiter steigern (Kuhl 2010).

Begriffsklärung: Selbststeuerung

Der Begriff Selbststeuerung bezeichnet die höchste Stufe erfahrungsintegrierender und handlungsveranlassender Kräfte, bestehend aus Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle (Ich-dominierte, willentliche Einflussnahme auf das Selbst) und Selbstregulation (dialogisch-wohlwollende Kooperation von Ich und Selbst). Er bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Einfluss auf psycho-physiologische Zustände zu nehmen, Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele zu bilden und sie gegen innere und äußere Widerstände umzusetzen. Die Zielbildung erfolgt idealerweise unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Bedürfnissen, Gefühlen, Werten und Interessen auf persönlicher und sozialer Ebene (Kuhl 2010).

Begriffsklärung: Embodiment

Embodiment als ein relativ junger Wissenschaftsbereich befasst sich mit der Verkörperung von Wissen, d.h. dem Anteil, den der Körper an Informationsverarbeitung hat. Wechselseitig sind psychische Prozesse immer in den Körper eingebettet und zugleich beeinflusst die Körperlichkeit unsere Einstellungen, Emotionen und Handlungen, oft auf unwillkürliche, unterschwellige Weise (Tschacher & Storch 2010). Der Körper ist die Plattform für emotionalen und psychischen Ausdruck, gewissermaßen „Spiegel der Seele“ – und umgekehrt: Die Psyche ist auch „Spiegel des Körpers“.

Im Rahmen des Embodiment-Ansatzes geht man davon aus, dass Information vom Menschen grundsätzlich in zwei Arten von Codes wahrgenommen und verarbeitet werden kann: in vorsymbolischer (körperlicher) und in symbolischer Form. Die symbolische Form hat zwei Ausdrucksarten, die symbolisch-verbale (Buchstaben/Worte) und die symbolisch-nonverbale (Bilder) (Multiple Code Theory nach Bucci (2002)). Die Informationscodes haben unterschiedliche
Inhalte und Verarbeitungsprinzipien. Damit sie miteinander in Verbindung gebracht werden können, braucht es eine Art Bindeglied, den referenziellenProzess (Abb. 1).

Psychische Krankheit beruht nach Bucci (2002) auf einer Unterbrechung der Verbindung zwischen diesen drei Informationsverarbeitungssystemen und den dysfunktionalen Versuchen, mit dieser Unterbrechung umzugehen. Ziel von Psychotherapie ist es daher, die Dissoziation zwischen den drei Systemen aufzuheben und Verbindungen wiederherzustellen (Tschacher & Storch 2010, 2012).

Anwendungstipp: Die „Weisheit des Körpers“ nutzen – der Organismus als Supervisionsinstanz in der sprachbegleiteten Klangarbeit

Nachdem der Körper im Sinne der Theorie der somatischen Marker (Damasio 2001) automatisch-unwillkürlich auf äußere Kontextbedingungen (Umwelt) wie auch innere Kontextbedingungen (Gedanken, Bilder, Vorstellungen, Glaubenssätze) mit physiologischen Antworten, Empfindungen und Gefühlen reagiert, z.B. Anspannung, Ärger, Stress vs. Gelöstheit und Wohlbefinden, können diese Reaktionen des Organismus als implizite Informationen, d.h. Wissen um eine stimmige Befriedigung wesensgemäßer Bedürfnisse aufgefasst werden. Hierbei braucht es die Präsenz des kognitiven Ich, um diese körperlichen Reaktionen wahrzunehmen und (an)zuerkennen und dann zwischen den Bedürfnissen des Organismus und der Umwelt zu vermitteln, damit sich ein Gefühl von Stimmigkeit einstellt. In diesem Sinne gilt es, den Klienten (besser: das Ich des Klienten) mit seinem Selbst, dem Organismus, in einen wertschätzenden Dialog zu bringen. Der Organismus des Klienten wird dabei als wissende, hilfreiche dritte Instanz (supervidierendes bzw. therapeutisches Tertium) zwischen dem Ich des Klienten und dem Ich des Beraters einbezogen (Triangulierung).

In der Klangarbeit kann das ganz praktisch wie folgt geschehen: Während der Anwendung von Klang nimmt der Klient präsent und achtsam die Reaktionen seines Organismus auf den Klang wahr und meldet diese immer wieder während der Klanganwendung kontinuierlich auf Nachfrage des Begleiters verbal zurück. Das Feedback des Klienten leitet dann den nächsten Handlungsimpuls des Begleiters, d.h. die Art und Weise des nächsten Klangangebots. Wiederum erfragt der Begleiter die Reaktionen des Organismus und macht ein neuerliches Klangangebot. Auf diese Weise wird eine Dreiecks-Kommunikation mit fortlaufenden Feedbackschleifen angeregt, die das implizite Wissen des Organismus abruft.

Dieser Ansatz bietet für Klangbegleiter den Vorteil einer Entlastung, da er nicht mehr für den Weg der Hilfe allein verantwortlich ist. Vielmehr lässt er sich während der Klangarbeit auf der Grundlage seiner Erfahrung von der Reaktionsweise des Organismus des Klienten leiten. Hilfreiches und Wohltuendes wird während der Klangarbeit ebenso kommuniziert wie auch weniger Stimmiges.

Für den Klienten liegen die Vorteile dieses Vorgehens darin, dass der Dialog zwischen kognitivem Ich und körperlichem Selbst gefördert, die Wahrnehmung und Benennung (= Wertschätzung) autonomer körperlicher Prozesse, eigener Empfindungen und Gefühle trainiert wird. Damit wird die Selbstwahrnehmung und die Verbalisation körperlich-emotionaler Befindlichkeiten optimiert, was für die primäre und sekundäre Prävention stress-assoziierter Störungen wesentlich ist.

Anwendungstipp: Den Organismus nach Ressourcen befragen

Durch folgende, offene Formulierungen während der Klanganwendung lässt sich der Organismus sogar befragen, z.B. nach Ressourcen. Hier einige Formulierungshilfen: „Erlauben Sie, dass sich früher oder später eine angenehme Körperempfindung oder ein Wohlbefinden einstellt… Sie können neugierig sein, was das für eine ist …“ oder: „Sie können die Weisheit Ihres Organismus nutzen und ihn befragen, welche Ressource, spürbare Qualität in Bezug auf Ihr Thema für Sie hilfreich sein kann, … welche Ressource Sie mit Ihrem Thema ein gutes Stück weiterbringen kann … und Sie können neugierig sein, zu erfahren, welche das ist …“

Die beschriebenen Ansätze in der Klangarbeit entsprechen der ganzheitlichen Perspektive des sogenannten Embodiment („embodied cognition“), der verkörperten Kognition als Kernkonzept einer wichtigen Trendwende in der Psychologie und Psychotherapie der letzten Zeit.

Sprachbegleitete Klangarbeit als praktiziertes Embodiment

Bezogen auf die Klangarbeit heißt dies, dass die Informationsebene des vorsymbolischen, viszero-sensorischen Codes durch das Wahrnehmen und Benennen des Wahrgenommenen mit der Informationsebene des verbal-symbolischen Codes verbunden wird. Auf diese Weise entsteht eine lebendige, ganzheitliche Verbindung und Kommunikation von Körper und Geist („Kopf und Bauch“). Gerade bei stress-assoziierten Erkrankungen findet man oft eine Dissoziation von Körper und Geist, eine eingeschränkte Körperwahrnehmung und mangelnde Fähigkeit Körperreaktionen, Empfindungen und Gefühle zu benennen als Ausdruck der gewissen Selbstentfremdung. Die sprachbegleitete Klangarbeit mit Übersetzung der körpernahen Codes des vorsymbolischen Systems in das abstrakte Sprachsystem bietet hier für den Klienten vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne:

  • eines Trainings von Körperwahrnehmung und -bewusstsein,
  • der Verbalisation von Körperreaktionen und Empfindungen,
  • des Ausbaus emotionaler Kommunikationsfähigkeit,
  • des Dialogs mit dem eigenen Körper und
  • der Zunahme von Selbstbewusstsein und vertrauen.

Der Verstand in Alltagswelt und Klangarbeit

Die Alltagserfahrung der allermeisten Menschen ist geprägt durch die Newton‘sche Physik der materiellen Welt als „harte“ Realität. Der Alltag wird in erster Linie rational und willentlich durch den bewussten Verstand bewältigt, der Probleme analysiert, Ziele setzt, Strategien und Pläne entwickelt. Seit der Aufklärung des 17. Jh. (Descartes’ „Ich denke, also bin ich.“) findet in der westlichen Welt eine einseitige Identifikation mit dem Denken, d.h. mit dem körperlosen Verstand statt. Mit der Zunahme des Dienstleistungsbereichs und der Beanspruchung der Kopfsinne und des Denkorgans im Stirnlappen des Gehirns (präfrontaler Kortex) als neurobiologische Repräsentanz unseres „Ichs“ haben wir es zunehmend mit dem Phänomen der Ich-Erschöpfung als Stress-Folgestörungen zu tun (z.B. Burnout, Tinnitus, Depression, Ängste). Diese Störungen treten dann auf, wenn unsere Ich-Instanz (der bewusste Verstand) an seine Grenzen kommt. Sehr frühe Symptome hierfür sind unliebsame Zustände, wie Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Verwirrung, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, Verzweiflung, Enttäuschung und Frustration. Diese Zustände zeigen dabei eigentlich an, dass das Ich (der bewusste Verstand) mit seinem Wissen und Konzepten, beruhend auf den Erfahrungen der Vergangenheit, nicht weiterweiß, erfahrungsmäßig also gerade Neuland betreten wird, wo neue Lernchancen lauern. Damit dies möglich wird, ist eine wohlwollende Bewertung jener Zustände durch den Verstand erforderlich, wie beispielsweise „interessant, es gibt etwas Neues zu lernen“, oder ein positives Framing, wie „Verwirrung ist die Knospe der Veränderung“. Es braucht also eine wohlwollende menschliche Präsenz, um jene Zustände zu halten, aus denen dann kreative, neue Denk- und Verhaltensimpulse entstehen können. Damit wohlwollende Bewertungen auf mühelose Art möglich sind, ist es wichtig, dass der bewusste Verstand entlastet, erholt und energetisiert ist.

Jede Art von körperorientierter Entspannung führt zur Entlastung des Verstandes. Wesentliches Kriterium der sogenannten Entspannungsreaktion (Relaxation response, Benson 1973) ist eine affektive Indifferenz, d.h. Gleichgültigkeit im positiven Sinne, alles hat also gleiche Gültigkeit. Insoweit sind Entspannungsmethoden hilfreich, die das körperliche Erleben betonen (z.B. auch PME), um das Ich zu entlasten. Auch in der Klangarbeit wird dem körperlichen Erleben Vorzug vor dem Verstand oder der Kognition gegeben. Das ist in Hinblick auf die Erholung des Ich zunächst auch sinnvoll. Analog der Hypnose der zweiten Generation (Erickson’sche Hypnose) spielt der Verstand mit seinen expliziten Verarbeitungsprozessen verglichen mit den impliziten Verarbeitungsprozessen des Unbewussten auch in der Klangarbeit eine eher untergeordnete Rolle oder wird sogar als störend angesehen.

Die neue Rolle: Verstand als Kooperationspartner in der sprachbegleiteten Klangarbeit

Anders als die Ansätze der ersten und zweiten Generation (traditionelle Hypnose bzw. Erickson’sche Hypnose) sehen die Wegbereiter der dritten Generation der Hypnose (Gilligan 2014, Dilts) eine abwertende, negative Attitüde dem bewussten Verstand gegenüber als unnötig und wenig hilfreich an. Vielmehr kommt dem Verstand (Ich) die Rolle eines ko-kreativen Mittlers zwischen den Welten des kreativen Unbewussten (Selbst) und der Alltagswirklichkeit zu. Aus dem kreativen Kooperationsfeld des bewussten Verstandes und dem körpernahen kreativen Unbewussten entsteht so eine neue, lebendige Wirklichkeit.

In der westlichen Welt fungiert der bewusste Verstand meist lediglich als körperloser, kritischer Intellekt, der Sachverhalte analysiert, bewertet, Ziele setzt, Handlungen plant, Ordnung und Routinen schafft, um Kontrolle und Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Als solcher ist er ein hilfreiches Werkzeug für die rationale Alltagsbewältigung. Weitere Qualitäten und Möglichkeiten des Verstandes lassen sich in Hypnose und Klangarbeit nutzen: Neugier, Präsenz, Kommunikation, Kooperation, Übersetzung und Transfer der Ergebnisse eines inneren kreativen Entwicklungsprozesses in die Alltagswirklichkeit.

 Im Sinne von verkörperter Kognition des bereits erwähnten Embodiment-Ansatzes kann der Verstand so in verschiedenen Phasen der sprachbegleiteten Klangarbeit auf unterschiedliche Weise einbezogen werden:

  1. Phase: Formulierung des Anliegens und Intentionsbildung
  2. Phase: Wahrnehmung und Benennen autonomer, unwillkürlicher Körperreaktionen und Affekte
  3. Phase: Ratifizierung der Erfahrungen und Alltagstransfer

Nachdem die zweite Phase dem geschulten Klangpraktiker noch am ehesten vertraut sein dürfte, werden im Folgenden insbesondere die Phasen eins und drei erläutert: 

Begriffsklärung: Intention

Aus den Kontroversen und neurobiologischen Folgeuntersuchungen um das Libet-Experiment geht man heute davon aus, dass die Intention (Absicht) kein unmittelbarer Auslöser einer bestimmten Willenshandlung ist, sondern vielmehr eine strukturierende Ursache, die eine bestimmte Reaktionsbereitschaft moduliert. Intentionen konfigurieren sensorische und motorische Verarbeitungssysteme dergestalt, dass beim Eintreten bestimmter Reizbedingungen intentionsgemäße Reaktionen automatisch und mühelos aktiviert werden. Intentionen machen dadurch bestimmte Reaktionsmuster wahrscheinlicher als andere (Goschke 2012) (Abb. 2).

Intention im östlichen und schamanistischen Denken

Östliche Schulen des TaiJi (Schmid 2002) beschreiben Intention (Yi, Absicht) als

  • gerichtetes Bewusstsein
  • der Energie eine Richtung gebend
  • einen Zustand absichtsvollen Seins
  • einen Zustand des Erlaubens, des Zulassens.

Im Schamanismus spielt die Intention ebenfalls eine besondere Rolle: Eine formulierte Absicht formt die unnachgiebige Intention, etwas Bestimmtes zu tun, die aufgebaut und mit Energie versehen werden muss. Da Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann (von Helmholtz, 1847), kann sie nur von einer Form in andere Formen umgewandelt werden. Das, was die Energie bewegt, ihr eine Richtung gibt, ist die Intention. Um eine Intention adäquat zu formulieren und zu formen ist es hilfreich, sich innerlich leer zu machen, um aus einem energetischen, aber neutralen Zustand der Nicht-Anhaftung heraus aus dem Ozean der Möglichkeiten und Intentionen wählen zu können. Wenn die Intention nicht in einer Haltung von Nichtanhaftung angewandt und formuliert wird („wollen“, „wünschen“, „begehren“), kommt es zur Anhaftung an Ergebnisse (funktionale Fixierung).

Anwendungstipp: Die drei Phasen der sprachbegleiteten KlangarbeitKlangschalen und Achtsamkeit

 Phase 1: Intentionsbildung (intentionale Selbststeuerung)

In der ersten Phase der sprachbegleiteten Klangarbeit erfolgt die Auftragsklärung mit der Formulierung eines Anliegens. Dann folgt noch in stehender Position, weil präsenter, aus einem Zustand des Zentriertseins heraus die bewusste Intentionsbildung und -formulierung in einem Satz, etwa nach dem Muster: Was ich am meisten in meinem Leben manifestieren will, ist … (maximal fünf Worte). Dann wird der Resonanz der Intention im Körper nachgespürt.

 Phase 2: Wahrnehmung und Benennen autonomer, unwillkürlicher Körperreaktionen und Affekte

In dieser Phase geht es um die Übersetzung des vorsymbolischen Informationscodes in den symbolischen Sprachcode (s.o.). Die achtsame Präsenz des Klienten während der Klangarbeit erlaubt die Wahrnehmung autonomer körperlicher Prozesse und Affekte sowie den Zugang zu deren impliziter Information durch Bewusstheit. Ganz praktisch wird der Klient während der Klangarbeit wiederholt angeregt, seine körperbezogenen Wahrnehmungen zu benennen.

Phase 3: Ratifizierung der Erfahrungen und Alltagstransfer

Hier werden die Erfahrungen des Klienten zusammenfassend benannt und – je nach initialem Auftrag, Anliegen und Intention – mit dem Thema und dem Alltag in Bezug gebracht, der Umgang mit Hindernissen und erste kleine Schritte in Richtung Veränderung besprochen.

Ausblick

Wie gezeigt, bietet die sprachgeleitete Klangarbeit vielfältige Möglichkeiten, dem Risiko einer Selbstentfremdung durch bewusste Selbstwahrnehmung und Selbstresonanz sowie durch intentionale Selbststeuerung in Richtung selbstkongruenter Veränderung vorzubeugen. Der bewusste Verstand, das „Ich“, hat dabei eine partnerschaftliche Rolle im Sinne ko-kreativer Kooperation mit dem körperbezogenen Selbst. Der Einsatz der hier beschriebenen, sprachbegleiteten Klangarbeit kann als Ergänzung zu anderen, auch nonverbalen Ansätzen das methodische Repertoire der Klangarbeit je nach Anliegen des Klienten und Hintergrund des Anwenders sinnvoll erweitern.

Privat-Dozent Dr. med. Uwe H. Ross

Arzt, Therapeut und Coach in eigener Praxis. Qualifikationen in Erickson’scher Hypnose, Business- & Health-NLP, Systemischen Strukturaufstellungen, Verhaltenstherapie und verschiedenen Körpertherapien. Lehrtätigkeit an der Universität und Ärztekammer Freiburg im Bereich Psychosomatik und Medizinische Hypnose. Lebt und arbeitet in Freiburg i. Breisgau.

 Kontakt www.pers-sono.de

Weiterführende Tipps:

Seminarhinweise

PD Dr. Uwe Ross bietet am Peter Hess® Institut u.a. folgende Seminare an:

Bei unserem großen Jubiläums-Klangkongress vom 1.-3. März 2024 in der Stadthalle Gersfeld/Rhön oder online hält PD Dr. Uwe H. Ross einen Vortrag zum Thema „Selbstheilungskräft, Resilienz und Gesundheit. So können wir sie stärken“ und einen Workshop mit dem Titel „Selbstheilungskräfte mit Klang aktivieren. Interozeption und autonome Selbstregulation als Schlüssel“. Mit dabei sind beim Klangkongress ferner Peter und Emily Hess, der Bewusstseinswissenschaftler Prof. Dr. Thilo Hinterberger, der begnadete österreichische Musiker und Universitätsprofessor Peter Gabis und viele weitere Klangexpertinnen und Klangexperten!

Literatur

Bucci, W. (2002). The referential process, consciousness, and the sense of self. Psychoanalytical Inquiry, 22, 776-793

Benson, H., Beary, J.F., Carol, M.P. (1974). The Relaxation Response, Psychiatry, 37:1, 37-46

Damasio, A. (2001). Fundamental feelings. Nature. Oct 25;413(6858):781

Gilligan, S. (2014) Generative Trance: Das Erleben kreativen Flows. Paderborn, Jungfermann

Gollwitzer, P. M. (1993). Goal achievement: The role of intentions. European Review of Social Psychology, 4, 141–185.

Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54, 493–503.

Gollwitzer, P. M., & Schaal, B. (1998). Metacognition in action: The importance of implementation intentions. Personality and Social Psychology Review, 2, 124–136.

Gollwitzer, P. M., & Sheeran, P. (2006). Implementation intentions and goal achievement: A metaanalysis of effects and processes. Advances in Experimental Social Psychology, 38, 69–119.

Goschke, T. (2012). Volition in action: Intentions, control dilemmas and the dynamic regulation of cognitive intentional control. In W. Prinz, A. Beisert & A. Herwig (Eds.), Action science: Foundations of an emerging discipline. Cambridge, MA: MIT Press

Kuhl, J. (2010). Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie. Göttingen, Hogrefe

Kuhl, J. (1987). Action control: The maintenance of motivational states. In F. Halisch & J. Kuhl (Eds.), Motivation, intention, and volition (pp. 279–291). Berlin: Springer.

Mele, A.R. (2009). Effective Intentions – The Power of Conscious Will. Oxford University Press

Metzinger, Th. (2012). Selbst, Selbstmodell, Subjekt. in: Stephan, A. & Walter, S. Handbuch Kognitionswissenschaft. Stuttgart: J. B. Metzler

Oettingen, G. (2012). Future thought and behaviour change, European Review of Social Psychology, 23:1, 1-63

Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin, Suhrkamp

Schmid, M. (2002). Taiji – die innere Kraft von Himmel und Erde. Ahlerstedt: Param, S. 117ff

Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G. & Tschacher, W. (2010). Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen (2. Aufl.). Bern: Huber.

Tschacher, W. & Storch, M. (2010). Embodiment und Körperpsychotherapie. In A. Künzler, C. Böttcher, R. Hartmann & M.-H. Nussbaum (Hrsg.), Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog, Heidelberg: Springer, S. 161-176.

Tschacher, W., Storch, M (2012). Die Bedeutung von Embodiment für Psychologie. Psychotherapie 17:2, 259-267

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