von Gastautor: Bernhard Mielchen
Klänge hinter Gittern?
Normalerweise hört man in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) das Geräusch vieler Stimmen, das Knallen von Türen und das Klappern der Schlüssel. Im offenen Vollzug, in dem ich tätig bin, auch schon mal die eine oder andere Durchsage der Sprechanlage. Zu dieser Geräuschkulisse haben sich neue Geräusche hinzugesellt: Die zarten Klänge von Klangschalen und Gongs.
Zu meiner Vorgeschichte: Ich bin seit nunmehr fast 40 Jahren Justizvollzugsbeamter und davon fast seit 33 Jahren im offenen Vollzug der JVA Remscheid tätig. Schon vom ersten Tag, seit ich selbst Klänge erlebt habe (Februar 2009) verfolgten mich zwei Fragen: „Oh, du arbeitest im Gefängnis. Hast du schon den Film aus dem polnischen Gefängnis gesehen?“ und „Arbeitest du auch in der JVA mit Klängen?“ In der ersten Zeit musste ich diese Fragen verneinen und das blieb auch eine Weile so, allerdings war mein persönliches Interesse an den Klängen so stark, dass ich nach und nach die Klangmassage-Ausbildung absolvierte. Heute bin ich Peter Hess®-Klangmassagepraktiker und -Gruppenleiter. Es sollte aber noch eine ganze Weile dauern, bis in mir der Wunsch reifte, die Klänge auch in meiner Arbeit einzusetzen.
Eine zusätzliche, denkwürdige Episode war das Seminar „Autogenes Training und Klang“. Dieses gab mir den Anstoß, über eine Arbeit mit den Gefangenen nachzudenken, und so fasste ich den Entschluss, dieses in der JVG anzubieten.
Viele Hürden waren zu nehmen: Genehmigung der Vorgesetzten – schließlich ist es bezahlte Arbeitszeit, Aushänge für die Gefangenen – haben sie überhaupt Interesse? Im Nachhinein betrachtet gestaltete sich beides erheblich einfacher als gedacht. Zudem musste ich nach einem passenden Raum suchen. Der von mir erträumte große Freizeitraum erwies sich als störempfindlich, rundherum zu belebt und vor allem zu den von mir angedachten Zeiten als viel zu laut. Dies zeigte sich am ersten Einführungsabend, der sich für mich zum absoluten Reinfall entwickelte. Also musste ein leiserer Raum gesucht werden. Ein leer stehendes Büro bot sich an, das deutlich kleiner war, mir aber seither als Klangraum dient.
Die Gruppe der Insassen, die an meinem Angebot „Autogenes Training mit Klang“ teilnahmen, sahen den kleineren, ruhigeren Raum allerdings nur als Chance, noch besser zu lernen. Also begann ich mit einer begeisterten Truppe das Autogene Training zu erlernen und zu üben. Bald stellten sich erste Erfolge ein und zeigten mir, dass ich auf dem richtigen Weg war. Nach Ende des 10 Wochen dauernden Trainingsprogramms war aber der Bedarf nach Klängen noch nicht gedeckt. So begann ich mit einem 14-tägigen Angebot an Fantasie- und Klangreisen, das ich bis heute mit gleichbleibendem Erfolg durchführe. Teilweise gestalte ich geführten Fantasiereisen nur mit Klangschalen, teilweise biete ich reine Gong-Meditationen an. Manchmal nutze ich auch noch andere Instrumente, deren Klänge in die Entspannung führen. Das Angebot, an dem aufgrund des kleinen Raums nur fünf bis acht Personen teilnehmen können, findet inzwischen regelmäßig statt.
2011 fand dann mein zweiter Kurs mit neuer Besetzung statt. In diesen Wochen wurde dann Klang an zwei Tagen in der Woche angeboten, da die „Alteingesessenen“ ja auch nicht mehr auf ihre Klänge verzichten wollten. Zusätzlich kam dann je nach „Andrang“ schon mal die eine oder andere Einzel-Klangmassage, die mit Freuden angenommen wurde und auch schon mal für eine ausgefallene Meditationseinheit mehr als nur Ausgleich war. Habe ich in den ersten Monaten immer brav mein Klangmaterial von zu Hause mitgebracht, so durfte ich Ende 2011 endlich einen ersten kleinen Satz Klangschalen für die JVA anschaffen und zusätzlich noch einen TamTam Gong!
Zwischendurch erklingen auch schon einmal seltsame Töne von Trommel und Monochord, die auch immer gerne angenommen werden. Und an manchen Wochenendtagen kann man, wenn man genau hinhört, auch mein „Markenzeichen“, die Flöte vernehmen.
Es folgte ein neuer Meilenstein: Im geschlossenen Vollzug wurde im Oktober 2011 eine Therapievorbereitungsabteilung eröffnet und dort sollten die Klänge Einzug halten. Das Angebot hat sich bewährt, sodass 2012 eine zweite Klang-Gruppe im Rahmen der Therapievorbereitung installiert wurde. Im Rahmen der Therapievorbereitung zeichnet es sich ab, dass die Fantasiereisen immer mehr von reinen Klangreisen und Klangmeditationen abgelöst werden. Diese nonverbalen Angebote werden besser angenommen, um eigene Spielräume zu erweitern. Die Erfolge grade bei Gefangenen mit Aufmerksamkeitsdefiziten zeichnen sich immer stärker ab. Mittlerweile haben wir März 2013 und seit November 2012 greift das Gesundheitsmanagement auch für die JVA Remscheid. So finden nun auch regelmäßig Fantasiereisen auch für die Mitarbeiter/Bediensteten statt.
Wir haben nun das Jahr 2017. Im Rahmen der Therapievorbereitung betreue ich mittlerweile alle 14 Tage die komplette Abteilung in zwei Gruppen. Die Arbeit mit den Gefangenen ist mittlerweile zu einem existentiellen Bestandteil der Gruppenarbeit dieser Abteilung geworden. Die Gruppe im offenen Vollzug findet wöchentlich im Wechsel vormittags und abends statt. Die Gruppe für Mitarbeiter/Bedienstete findet wöchentlich statt und ist regelmäßig gut besucht.
Seit 2015 betreue ich mit meinem Angebot (Klangreise mit Gong und Klangschale) die Gesundheitstage der Justizvollzugsschule NRW sowie der benachbarten Justizvollzugsanstalt in Wuppertal, um das Klangangebot zur Entspannung in ganz NRW zu verbreiten.
So erweitert sich das Klang-Angebot in der JVA Remscheid immer mehr und ich hoffe, irgendwann auch mit der Einzelarbeit beginnen zu können – die ersten Schritte auf diesem Weg sind getan!
Justizvollzugsbeamter sowie Gesundheitsberater, Energetiker und Peter Hess®-Klangmassagepraktiker.
Kontakt: www.drachenklang.de oder info@drachenklang.de
Fotos: Bernhard Mielchen und Rainer Feistauer
Tipp: Peter Hess®-Klangtherapie in Strafanstalten von Dr. Anetta Jaworska
Erschienen in der Fachzeitschrift KLANG-MASSAGE-THERAPIE 9/2014, S. 70-73
Eine Studie über den positiven Einfluss der Peter Hess®-Klangmethoden bzw. -Klangtherapie auf das Verhalten von Strafgefangenen in der polnischen Strafanstalt in Wierzchowo finden Sie hier.
2 Gedanken zu „Klänge hinter Gittern“
Lieber Bernhard, herzlichen Dank für deinen interessanten Beitrag! Dein Artikel berührt mich sehr und ich finde es toll, dass du die Arbeit mit den Klangschalen in dein Arbeitsfeld einbringen kannst und dich getraut hast dran zu bleiben. So konntest du die Anwendungsbereiche immer mehr erweitern und hast mehr und mehr die Unterstützung deines Arbeitgebers bekommen, was für eine tolle Bereicherung für die JHV! Ich drücke dir die Daumen, dass du den Klang dort weiter einsetzen kannst und auf offene Ohren triffst, die weitere Entwicklungen ermöglichen!
Erfüllen Gefängnisse nur das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft, oder hat die Zeit der Inhaftierung
einen tieferen Aspekt – Rückzug – Sinnsuche – Neuorientierung – Eingliederung ?
Klang berührt unmittelbar, kann subtil selbst-löser anbieten.