Dr. phil. Christina M. Koller lädt dich im folgenden Beitrag ein, gemeinsam das Phänomen der Stille zu betrachten und zu erkunden, was sie für uns bereithalten kann.
Es ist Weihnachten, die Zeit der Wintersonnenwende und des Jahreswechsels. Eine Zeit, die viele Menschen nutzen, um innezuhalten und sich in die Stille zurückzuziehen – dieses Jahr vielleicht mehr denn je.
Das Phänomen der Stille
Wenn wir an Stille denken, denken wir vielleicht erst mal an die äußere Stille, an die Abwesenheit von Lärm, Geräuschen, Sprache. Stille hat mit Schweigen zu tun, eben mit still-werden. Und wenn wir still werden, schärft sich fast automatisch unser Hörsinn. Wir nehmen Geräusche wahr, die vorher untergegangen sind. Wir bemerken vielleicht, dass es letztlich nie vollkommen still ist – weder in der Natur, noch in uns. Immer bleibt das Geräusch unseres Atems und es bleiben die inneren Klänge, die unablässig in verschiedenen Rhythmen in uns pulsieren und Leben doch auch erst ausmachen. Und doch können wir äußerlich still werden. Und diese äußere Stille kann uns zur inneren Stille führen, sie ist letztlich eine Voraussetzung dafür.
„Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.
Das Gegenstück zur äußeren Stille ist innere Stille jenseits der Gedanken.“
(Eckhart Tolle)
Wie eben gesagt, im Schweigen und Stillwerden öffnet sich unsere Wahrnehmung –auch für unsere inneren Prozesse. Im Stillwerden lenken wir unsere Aufmerksamkeit vom Außen auf das Innen, wir gehen in Kontakt mit uns selbst. Häufig werden wir uns dann erst bewusst, dass es auch in uns laut ist. Gedanken kommen und gehen, Bilder stellen sich ein, Empfindungen… So ist Stille nicht immer nur angenehm, sondern kann aus der Erfahrung des inneren Lärms heraus unangenehm, herausfordernd oder gar bedrohlich sein. Entsprechend kann das Thema Stille widersprüchliche Gefühle in uns auslösen, wie die Psychologin und Autorin Luitgard Jany indem BR-Podcast „Stille“ anschaulich beschreibt:
„Einerseits sehnen wir Menschen uns nach Stille – andererseits kann Stille auch bedrohlich wirken, wenn die eigenen Gedanken zu laut werden.“
Die „kleine Stille“ zwischendurch
Die Klänge der Klangschalen können ein wunderbares Medium sein, um den Weg von der äußeren zur inneren Stille Schritt für Schritt zu gehen. Sie können ein Anker sein im wilden Geplapper unserer Gedanken, ein Meditationsobjekt, das uns hilft, uns immer wieder zu fokussieren, ganz im Hier und Jetzt zu bleiben und uns nicht von den Gedanken überfluten oder gar gefangen nehmen zu lassen. Die sanften Klänge unterstützen uns in ihrem Erklingen und langsamen Vergehen dabei, das wahrzunehmen was ist, ohne es zu bewerten. Sie ermöglichen uns, wie aus der Warte des neutralen Beobachters die Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Die MBSR-Lehrerin und Achtsamkeitstrainerin Birgit Amann beschreibt das sehr eindrücklich in dem Beitrag „Achtsamer Klang – Klangvolle Achtsamkeit“ (Fachzeitschrift Klang-Massage-Therapie 2019, S. 10-15).
Und so können kleine „Übungen der Stille“, wie sie Maria Montessori bereits vor über 100 Jahren für Kinder entwickelt hat, wunderbar mit Klängen gestaltet werden. Sie ermöglichen eine kurze Regeneration, mentale Frische, verbunden mit einer Neutralisierung der gedanklichen Sphäre, wie der Bewusstseinswissenschaftler Prof. Thilo Hinterberger in dem Beitrag „Klanginduzierte und klangbegleitete Bewusstseinsprozesse“ (Fachzeitschrift Klang-Massage-Therapie 2019, S. 16-23) beschreibt.
Zudem tragen die Klänge eine gestaltbildende Kraft in sich, wie die Wasser-Klang-Bilder des Wasserforschers und Fotografen Alexander Lauterwasser so wunderbar zeigen. Die Klänge helfen uns, wie das Auge eines Wirbelsturms, bei uns zu bleiben, sodass uns das Chaos um und in uns nicht wirklich berührt. Vielmehr kann es sich beruhigen und neu ordnen. So wird berichten viele Menschen, dass während bzw. nach einer Klangmassage plötzlich Ideen oder Lösungen in ihnen aufgetaucht sind, an die sie vorher gar nicht gedacht haben. Prof. Thilo Hinterberger beschreibt in dem oben genannten Beitrag auch weitere Transformationsprozesse, wie sie auch bei Klangmeditationen beschrieben werden. Besonders interessant ist dabei, dass diese Phänomene meist in der Nachruhe, also in der Stille nach dem Klang geschehen. Deshalb ist es auch so wichtig, den Klängen ausreichend Raum zum Nachspüren zu geben – sei es nach einer kurzen Klangübung oder besonders nach einer Klangmassage oder Klangmeditation.
Die Klänge als Vehikel auf dem Weg in die „große Stille“
Äußerlich still zu werden, ist jedoch nur der erste Schritt auf dem Weg zur „großen Stille“, wie sie Rudolf Walter in dem Buch „Die Kraft der Stille“ (Herder Verlag, 2017) beschreibt. Denn die Klänge sind mehr als ein Meditationsobjekt. Sie sind wie ein Vehikel, das uns Stück für Stück tiefer in die Stille führen kann. Und so können wir mit Hilfe der Klänge jenseits all des äußeren und inneren Lärms einen Raum der „großen Stille“ in uns entdecken. Ein Raum des Friedens, der stillen Freude und des Vertrauens, in dem wir uns angenommen fühlen, so, wie wir sind. Ein Raum, in dem wir ausruhen und Kraft schöpfen dürfen. Ein Raum, in dem wir uns mit dem Großen und Ganzen verbunden fühlen, all-eins-seins-Erfahrungen erleben können. Entsprechend wird manchmal auch vom „heiligen Raum der Stille“ gesprochen, der uns mit dem „Göttlichen“, dem „Unendlichen“ verbindet – jenseits von Religion und Glaubensrichtung. Diese Qualität der Klänge beschreibt Dr. Wolfgang Meyer-Meisner sehr treffend mit folgenden Zeilen:
„Klang ist sinnbefreite Zuwendung,
wortlose Ansprache,
den Raum füllende Schwelle zur Stille.
Der Klang definiert die Stille,
er bereitet sie vor,
er ist der klärende Schritt vom
Ertragen zum Erleben der Stille,
ein Moment der Unendlichkeit.“
Vielleicht ist es genau das, was so viele Menschen im Klang der Klangschale für sich entdecken und was die große Faszination ausmacht: Die Klänge machen es uns leicht, (wieder) in Kontakt mit uns selbst, mit unserem Wesenskern zu kommen und uns darüber mit dem Transzendenten zu verbinden – mit dem, was jenseits der alltäglichen Welt liegt. Einer Quelle, die uns nährt und alles Lebendige miteinander verbindet.
„In der vollkommenen Stille hört man die ganze Welt.“
(Kurt Tucholsky)
Mit Klängen in den Raum der Stille eintauchen
Und wenn auch du jetzt Lust bekommen hast, der Stille in dir zu lauschen, dann lädt dich dieses Gedicht von Rainer Maria Rilke dazu ein, vorgetragen und begleitet mit Klangschalen von Ulrich Krause. Hier als Podcast.
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still.
Du mein tieftiefes Leben;
daß du weißt, was der Wind dir will.
Eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
er wird dich lieben und wiegen.
Und dann, meine Seele, sei weit, sei weit.
Daß dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
über die sinnenden Dinge.
(Rainer Maria Rilke)
Die Kraft der Stille teilen
Die Klangmassage und Klangmeditationen scheinen wie eine Einladung in die Stille und viele Menschen machen dabei Erfahrungen, die ihr Leben verändern. Sie steigen aus aus dem Hamsterrad von Müssen und Sollen und besinnen sich auf das, was ihnen gut tut, was ihnen Freude bereitet und ihr Leben mit Sinn erfüllt. Über die Erfahrungen, die ihnen die Klänge schenken, kommen sie wieder in Kontakt mit ihrem Urvertrauen. Das gibt ihnen Kraft, ihr Leben aktiv selbst zu gestalten. Und das wirkt wiederum auch auf ihre Umgebung. Denn jeder von uns beeinflusst seine direkte Umgebung durch sein Sein. Und vielleicht können die Klänge der Klangschalen gerade damit in dieser herausfordernden Zeit eine Unterstützung sein, die uns einerseits hilft, gut bei uns und in unserer Mitte zu sein und gleichzeitig Mitgefühl und Verständnis für andere aufzubringen. Für mich persönlich ein wirklich schöner Weihnachtsgedanke!
Wie geht es dir mit der Stille?
Welche Erfahrungen hast du mit Klang und Stille gemacht?
Gerne teile deine Erlebnisse und Erfahrungen mit uns und schreib einen Kommentar oder schick uns deinen Erfahrungsbericht an: redaktion@fachverband-klang.de