Die professionelle Märchenerzählerin Michaele Scherenberg hat für unseren Blog als Gastautorin, dieses wunderschöne Märchen vom Klang und den Bäumen geschrieben. Wir wünschen Ihnen, dass es Ihr Herz berührt so wie es unsere Herzen berührt. Und nun lesen Sie selbst und lauschen den Worten nach:
Es war einmal eine schwere Zeit. In den vorweihnachtlichen Straßen glänzten die Lichter wie jedes Jahr und am Waldrand lag der erste Schnee. Doch in diesem Jahr war es anders. So, als hätte jemand die Stille geradezu verordnet.
Denn auf den Straßen eilten nur wenige Menschen an den erleuchteten Fenstern vorbei.
Sie liefen rasch, hatten die Mützen tief ins Gesicht gezogen- und trugen Masken.
Im Winter kann man fast glauben, dass die Masken getragen werden, um es warm zu haben, so wie manchmal auch die Skifahrer warmen Wollschutz tragen oder die Kinder, die mit dem Schlitten draußen in der Kälte unterwegs sind.
Doch in diesem Jahr, von dem ich erzähle, war die Maske überall verordnet worden aus gesundheitlichen Gründen, denn die Menschen fürchteten sich davor, dass sie sich anstecken könnten.
So verlief diese erste Adventszeit mit Maske, aber ohne viele Worte. Fast stumm saßen die Menschen beieinander und hatten es sich beinahe abgewöhnt, die Gedanken zu Worten und Sätzen zu formen. Denn das Wort unter der Maske konnte man nicht begleiten mit einem Lächeln oder anderen lebhaften Bewegungen des Mundes. Es war auch sehr schwer geworden, einen Scherz zu machen oder gar eine Liebeserklärung auszusprechen.
An diesem Abend war eine junge Frau noch unterwegs, als der Nachmittag langsam in die Dämmerung überging. Sie hatte eine Runde gemacht, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen und ein paar eigene Besorgungen zu erledigen. In ihrer Tasche trug sie eine kleine Klangschale, für die sie eigentlich einen hübschen Beutel gesucht hatte, um sie zu verschenken.
Auf dem Heimweg nahm die junge Frau die Abkürzung durch den alten Park. Die Luft war kalt und trocken und es roch nach Schnee. Sie nahm die Maske ab und schaute sich vorsichtig um, kein Mensch war in der Nähe.
Ohne Maske kam sie sich fast nackt vor.
So schnell kann man sich an einen Zustand gewöhnen.
In der Mitte des Parks stand eine uralte Platane, unter der die junge Frau im Sommer vor einem Jahr oft gegessen und gesungen hatte. Lange war das her.
Sie lehnte sich an den alten Baum, spürte die Rinde hinter ihrem Rücken. Und während sie dort verharrte, flutete eine feine Wärme in ihren Körper. Es war, als hätte der Baum ein Leben, als könne er sie mit seinen Armen trösten.
Still war es, nur fern die Autos auf der Straße und das Rufen der Wintervögel am Teich.
In der Tasche klirrte die Klangschale leise, der kleine Schlägel war an das Metall geraten.
Mit kalten Fingern holte die junge Frau die Schale heraus. Auch wenn es schon dunkelte, glänzte das Gold der Schale so schön und fast heilig. Mit dem Schlägel schlägelte die Frau einen sanften Ton an.
Der Baum schien den Ton zu genießen.
Noch einmal spielte die Frau einen Ton. Und als er eine Weile verklungen war, noch einen weiteren.
Der Klang, der aus der Schale kam, erfüllte den Raum um die alte Platane.
Plötzlich war es, als begänne die Rinde des Baumes geheimnisvoll zu leuchten. Die junge Frau ließ den Klang immer wieder leise und sacht ertönen. Mit vielen Pausen dazwischen.
Und in den Pausen geschah es plötzlich oder es schien zu geschehen:
Der Baum fing an zu sprechen!
Die junge Frau hörte die Worte deutlich, nicht mit ihren Ohren, sondern mit ihrem Herzen. Der Baum tönte und sprach, er sang und summte.
Dabei wurde es ihr so leicht und so froh ums Herz wie lange nicht mehr. Bilder tauchten inwendig auf, Bilder aus der Kindheit, Bilder von langen Spaziergängen mit den Eltern in der Adventszeit. Ja – damals hatte sie auch die Bäume gehört- so lange, bis heute hatte diese Erinnerung geschlummert.
Inzwischen war es fast dunkel geworden im Park. Trotzdem konnte sie die Bäume, die in der Nähe der alten Platane standen, gut erkennen – den Nussbaum, die Eibe und die Büsche dahinter, die im Frühling so herrlich blühten und nun ihre filigranen Äste sehen ließen.
„Ich liebe Euch“, sagte die junge Frau – und diese Worte formte sie leise mit dem Mund „und ich danke Euch. Und ich höre Euch.“ Mit einem Mal schien es ihr, als sei auch sie ein Wesen wie die Bäume, gleichartig und in der Gemeinschaft derer, die etwas zusammen erleben und durchstehen müssen.
Die Bäume rauschten und wisperten, die Klangschale tönte noch einmal einen Ton in die wundervolle Stille.
Dann wickelte die junge Frau sorgsam den Wollschal um die Schale. Sie verneigte sich in alle Richtungen und schämte sich fast ein wenig dabei – aber nur fast, denn sie fand, dass das Verneigen die richtige Art war, sich zu verabschieden. Auf der Straße zog die Frau die Maske wieder an. Doch ihr Herz hatte die guten Worte der Bäume behalten, das Singen und Klingen strahlte über den Rand der Maske aus ihren Augen.
Ja, wenn es möglich ist, die Worte der Bäume ohne Ohren zu hören, so wird es wohl auch möglich sein, unsere Menschen-Worte ohne Mund zu sprechen.
Im Jahr darauf war die schwere Zeit der Masken und der Krankheiten vorüber. Die Folgen dauerten noch lange an. Viele Menschen hatten sich das Sprechen ein wenig abgewöhnt.
Manche anderen verfielen im Übereifer des Nachholens ins andauernde Geschwätz.
Einige aber hatten in dieser Zeit gelernt, mit dem Herzen zu sprechen und mit den Augen die Worte zu formen, die besonders kostbar sind – Worte der Liebe, der Wertschätzung, der Freude, des Entzückens – und des Wunders.
Und wenn die Worte den Weg nicht finden, dann gibt es ein gutes Hilfsmittel:
eine Klangschale und einen Baum.
Die junge Frau jedenfalls hat die Klangschale behalten und sie noch manches Mal in den Park getragen.
Denn es lohnt immer sich an etwas zu erinnern, dass man in schweren Zeiten gelernt hat, damit man es in den guten Zeiten nicht vergisst.
Möchten Sie sich vielleicht einen weiteren schönen Moment mit einer Klangreise gesprochen als Podcast anhören? Dann schauen Sie in den Blogbeitrag mit der Herzklangschale den Herzbereich stärken.
2 Gedanken zu „Das Märchen vom Klang und den Bäumen“
Liebe Michaele,
wie geht es Dir ?
Ich versuche auf diesem Weg nochmal mit Dir in Kontakt zu treten.
Hast Du weiterhin Interesse über das Zentrum für altes und neues Wissen und Handel
Märchenabende zu veranstalten,
dann melde Dich bitte bei mir, wir sind gerade in der Planung für das laufende Jahr.
Ich freue mich, wenn Du Dich meldest.
Liebe Grüße
Bärbel Kaus Te. 06127-999122
Liebe Frau Kaus,
vielen Dank für Ihren Kommentar zu Michaeles Blogbeitrag. Ich habe Michaele nochmal gesondert daruaf hingewiesen, sodass sie den Kommentar auch sicher bekommt.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim weiteren Stöbern auf unserem Blog,
mit klangvollen Grüßen, Katrin Beha