von Gastautorin Heike Sy, Fachartikel erschienen in der Fachzeitschrift 11/2016 des Europäischen Fachverbands Klang-Massage-Therapie e.V.
Nach einem schweren Autounfall fand ich mich nach einigen Wochen im Koma in der Klinik Leezen wieder — einer Akutklinik für Frührehabilitation und ein inter disziplinäres Rehabilitationszentrum. Die Klänge haben mir geholfen, den Weg zurück ins Leben zu finden.
Die Vorgeschichte
Mein Name ist Heike Sy, Ingenieur-Ökonomin und Betriebswirtin.
Im November 2005 arbeitete ich in einer Caravaning-Firma bei Hannover. An diesem verhängnisvollen 5. November war ich mit meinem Ford Mondeo dienstlich unterwegs. Da passierte es. Es waren nur wenige Sekunden, die mein Leben veränderten. Das Auto ließ sich auf der feuchtrutschigen Straße nicht navigieren, es begann zu schleudern, drehte sich herum. So prallte ich ungebremst mit der Fahrerseite gegen einen Baum. Bei dem Crash geriet mein Kopf in eine unglückliche Lage. Dadurch wurde das Gehirn mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Der Notarzt intubierte noch im Rettungshubschrauber, der mich in die Uniklinik Hannover flog.
Was danach kam, erfuhr ich erst viel später: durch Erzählungen, durch einen Zeitungsbericht, in dem etwas von erhöhter Geschwindigkeit … usw. stand. Diese kurvenreiche Landstraße befuhr ich schon viele Male. Bei jeder Witterung. Aber schnell fahren konnte ich dort nie.
Einige Tage nach dem Unfall brachte man mich mit dem Krankentransport in die HELIOS Klinik Leezen, damit meine zwei Söhne es näher hatten, mich dort zu besuchen. Die kommenden Monate dort wurden für mich eine schmerzvolle, schlimme Erfahrung. Die Anfangsdiagnose lautete: schweres Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades, Hemiparese (Lähmung) linksseitig.
Die Schmerzen waren enorm. Ungewollt schrie ich oft. Dabei sollte ich doch ruhig sein, wie mir die praktische Schwester „Rabiata“ in ihrer sensiblen Art mehrmals zu verstehen gab. Es wurde eine sehr lange Zeit des Erwachens!
Ein harter, langer Kampf stand mir bevor, alles wieder neu zu lernen. Aber das wusste ich lange Zeit nicht. Ich wollte weg hier. Schnell! So hoffte ich. Johannes Messner sagte mal: „Jede große Hoffnung gibt neue Kraft.“
Der feste Wille war: zurück in MEIN LEBEN!
Leichte Verletzungen an der Stirn und kleine Beckenbrüche heilten während des Komas. So „verschlief“ ich die schlimmsten Schmerzen. Das tiefe Koma dauerte etwa sieben Wochen. Sieben Wochen, die mir von meinem Leben fehlen. Anfangs ernährte man mich künstlich. Erst nach diesen sieben Wochen begann eine sehr L A N G S A M E Rückkehr in mein Leben. Hören konnte ich zum Ende der Komawochen immer schärfer, aber noch nicht klar sehen.
So hörte ich einmal, dass zwei Personen bei mir im Zimmer mit der Reinigung beschäftigt waren. Dann war zu hören: „Ja und hier …?“ Die andere Person sprach: „Ach komm, die wird doch sowieso nix mehr.“
Erschrocken dachte ich: „Hilfe – die meinen mich!“ Sofort wollte ich rufen „Aber ich bin doch da – seht ihr das denn nicht?“ Die Tür klapperte, schon war ich wieder allein. Allein mit mir und meinen ängstlichen Gedanken. Meine Umwelt zeigte sich dunkel, verschwommen, nebulös. Das Gehirn begann zu arbeiten, wirre Gedanken kamen. „Was ist hier los, wo sind meine Söhne?“ Schon fiel ich wieder in den Dämmerschlaf. Von einem zum nächsten wirren Traum. Der führte mich in eine längst vergangene schöne Zeit, meine Seefahrtzeit. Flug nach Westafrika, Landung in Mauretanien. Das Schiff lag draußen auf Außenrede. Von Weitem sah ich ängstlich die geöffnete seitliche Einstiegsluke. NEIN! Das kann ich nicht! „Kein Problem!“, hörte ich in der Zubringerbarkasse. „Da stehen zwei, die fassen zu, ziehen jeden rein. Auf die Wellen achten und SPRINGEN.“ Ja – die zwei fassten zu. Mit Schwung! So fiel ich hin, rutschte durch den Gang, dem Chefkoch direkt vor die Füße. „Oh – das müsste meine neue Chefin sein. Aber dass die mir gleich zu Füßen liegt, ist dochnicht nötig!“
Später fragte ich mich, warum solche Träume aus längst vergangener Zeit? Noch heute ist es so, dass mir Situationen, die mich einmal sehr beeindruckten, immer wieder ins Gedächtnis kommen. Nach dem Unfall war meine Sprache lange weg. Die Mundmuskulatur fühlte sich fest, starr an. Die Verständigung begann mit Augenzeichen, später kamen kleine Gesten dazu. Nach und nach konnte ich immer mehr aktiv wahrnehmen. Alles wurde neu erlernt. Anstrengend war dieses tägliche Wasch- und Anziehtraining!
Mein Partner musste weiche Schnürschuhe besorgen, die mir im Bett angezogen wurden, um die Verformung zum Spitzfuß zu verhindern. Wenn oft in Büchern, Filmen erzählt wird: „Er/sie ist wieder da, … wach werden, Augen auf“, alles geht wieder weiter …, NEIN!
So ist es leider nicht. Aber ich wollte doch zurück. In MEIN Leben. Es war deprimierend, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. WANN? Die Worte ZEIT und GEDULD hasste ich. Das Wort Zeit bekam für mich später eine neue Bedeutung. Von einem unbekannten Autor las ich einmal den Text mit dem Titel „Was ist Zeit“. Der Schluss lautete: „Lebe jeden Moment, der dir bleibt, bewusst! Denn er ist wertvoll.“
Begegnung mit den Klangschalen – die Schmerzen werden weniger
Der Wunsch wurde stärker, die Ungeduld größer. Es begannen Übungen und Therapien im Rollstuhl, den ich damals noch brauchte. Eines Tages war auf dem PLAN: Musiktherapie. JA. Musik und Singen! Das war doch immer DAS GRÖSSTE in meinem Leben. Erwartungsvoll fuhr ich mit dem Rollstuhl hin. Die Musiktherapeutin begann am Klavier sogleich mit einem Lied. Klar — kenne ich, wollte mit einstimmen. ABER wie entsetzt war ich. Kein sauberer Ton, die Luft zum Atmen fehlte. Je mehr ich es wollte und mich anstrengte, desto fester wurde die Mundmuskulatur. Es ging gar nichts mehr, besser wir brechen ab. NEIN. Frau Becker, die Therapeutin, hatte eine bessere Idee! — Die Klangmassage nach Peter Hess®!
Die sah ich im Musikraum stehen und glaubte, die seien zur Deko. Weil sie so schön aussehen. Material, Herkunft und die Wirkungsweise der verschieden großen Schalen ließ ich mir gerne erklären. Leider weiß ich heute nicht mehr, warum welche Schale wofür benutzt wurde. Neugierig wollte ich damals gerne diesen Versuch wagen, mich auf diese Technik konzentriert einlassen. Dann die Überraschung! Die Wirkung war für mich wohltuend, so verblüffend. Unfassbar.
Zu meinen Füßen standen zwei Klangschalen, eine weitere setzte die Therapeutin auf das schmerzende Bein. Mit einem Filzklöppel wurden die Schalen immer wieder angeschlagen. Den Klängen mit geschlossenen Augen lauschend, nahm ich die Töne auf. Dabei hatte ich das sichere Gefühl, der leise ertönende Klang fließt direkt in das verletzte Bein.
Fließt wohltuend und sanft vibrierend durch diese Körperpartie, tritt danach wieder heraus. Dabei wurde der Schmerz etwas herausgeschoben. Es fühlte sich an, als wenn dieses Klingen, der Ton, den ich in mir hörte, noch eine Weile danach zu spüren war. Das bedeutete, eine angenehme Zeit von etwa zwei Stunden, ohne das schmerzhafte Ziehen im Bein, lag vor mir.
Nach mehreren Wiederholungen fühlte ich mich einfach besser. Zu meiner Verwunderung. Unglaublich, dass so etwas wirklich funktionierte. Nach dem Ende der Klangschalentherapie begann immer der nächste Termin bei einer guten Psychologin, die viel Geduld mit mir hatte. Nicht nur einmal meinte sie zu mir, meine Entwicklung sei er staunlich. Müde, eher erschöpft, sähe sie mich manchmal mit dem Rollstuhl fahren. Aber wenn ich gerade von den Klangschalen zu ihr komme, hätte sie eher den Eindruck von mehr Wachheit, Munterkeit bei mir. Wie kann das sein? So gut ich ihr das zu erklären vermochte, sprach ich von der Klangschalentherapie, der wohltuenden Kraft, die sich offen bar auf mich überträgt. Also bildete ich mir das nicht ein. Eine andere Person sah, was die Klangschalen bewirkten.
Frau Becker lieh mir freundlicherweise eine Klangschale aus, die ich mit in das Krankenzimmer nehmen durfte. Voller freudiger Erwartung begann ich damit zu hantieren. Wie GROSS war jedoch die Enttäuschung, als trotz aller Mühe NICHTS passierte. Da musste ich begreifen, selbst benutzen— die Konzentration, anschlagen, hinhören, spüren, das funktioniert bei mir nicht. Den wirklichen Effekt hatte ich nur, wenn es eine Person für mich machte, die dafür ausgebildet ist.
Diese Klangschalentherapie bei Frau Becker half mir auch, nach dem Unfall mehr Kraft zu haben, um zurück in ein zweites Leben zu finden.
Mein zweites Leben – zehn Jahre nach dem Unfall
Walter Reisberger sagte einmal:
„Aus dem Blick zurück muss stets der Blick nach vorne reifen!“
Nun – fast zehn Jahre nach diesem großen Einschnitt in mein Dasein – bleibt die Frage: Was ist geblieben in meinem neuen Leben? Ist es wieder lebenswert?
Mit einem klaren JA muss diese Frage beantwortet werden. Auch wenn ich den Unfall nicht ohne bleibende Schäden überstand. Die halbseitige Lähmung wird nie weggehen. Der ständige leichte Schwindel wirkt immer störend. Beides versuche ich so gut wie möglich zu ignorieren. Es geht nicht mehr, mich lange auf eine Tätigkeit oder ein Thema zu konzentrieren. Große Pausen sind nötig.
Leider wurde ich berufsunfähig! Aber die FREUDE am Leben ist bis heute ungebrochen! Jeden Tag habe ich noch heute eine Therapie. Manchmal sind sie anstrengend, aber sie helfen mir. Dann tue ich das, wofür zu Arbeitszeiten nie die Möglichkeit war: satirische Mappen für gute Bekannte erstellen. Dann das Wichtigste: REISEN! Rundreisen durch asiatische oder afrikanische Länder. Diese Länder sehen, von der Geschichte des jeweiligen Landes, dem Leben seiner Bewohner erfahren, ist mir wichtig. Wenn möglich, gibt es auch kurzen Kontakt zu diesen Menschen.
Das liebe ich so! Meine schönste, beeindruckendste Reise mit den interessantesten Erlebnissen war bisher nach Südindien. Leider brachte mich in Südindien mein ständiges Schwindelgefühl in eine unangenehme Situation. Ich brauchte Hilfe! Keine Lust einen weiteren Tempel zu sehen, wartete ich draußen. In der Sonne. Bald schon spürte ich, dass die Kraft nachließ. NEIN. Nur nicht auf diese Steinplatten stürzen. Auf die Treppe setzen. Alleine dahin gehen? Wagte ich nicht. Wen sollte ich aber fragen? Die vorbeieilenden Leute sahen nicht sehr vertrauenswürdig aus. Ein junger Inder kam in meine Richtung. Ein Typ wie mein Sohn, nett angezogen mit schwarzer Hose, hellem Hemd. Darum fragte ich vorsichtig mit meinem bisschen Englisch, ob er mir helfen würde. “What can I do mam?“ Freundlich nahm er mich an die Hand und brachte mich zur Treppe, in den
Schatten. Sofort ging es mir besser. Dankbar hatte ich mich verabschiedet, er wünschte mir noch lächelnd alles Gute.
Nur der behandelnde Arzt in Hamburg erfuhr davon. Er schüttelte den Kopf zu meinem Reiseerlebnis: „War es DAS denn wert?“ Überzeugt vom Reisen bejahte ich die Frage. „Klar – es ist doch nichts passiert …“ Es wird nicht meine letzte Reise bleiben.
Was ist mir HEUTE – in meinem neuen Leben wichtig?
Niemand kann nur reisen oder unterwegs sein! Es gibt andere Dinge, die das Leben lebenswert machen, die Freude bereiten. Solange ich in der Lage bin, will ich trotz meines „biblischen Alters“ tun, was Freude macht. Falls es keine weiteren körperlichen Einschränkungen geben wird. Der Rat eines Psychologen half mir dabei. Wichtig ist, jeden Tag kleine Höhepunkte zu schaffen, man muss nur lernen, sie zu sehen. Genauso wichtig ist es, etwas für die Fitness zu tun. Möglichst täglich sollte ich eine Stunde mit dem Rollator gehen, um beweglich zu bleiben. Oder Dehnübungen für Arme und Beine machen. Aber um ehrlich zu sein fällt es mir schwer, jeden Tag konsequent zu sein. Das passiert eher jeden dritten Tag. Was auch noch kommen wird in meinem Leben. Wichtig ist für mich, ist es für jeden Menschen, sich die Freude am Leben zu bewahren. Für mich ergeben die Worte von Astrid Meyer viel Sinn:
„Schöpfe aus der Vergangenheit, gestalte die Gegenwart, öffne dich für die Zukunft.“