Atempausen für die Seele – Klangmassage mit Beeinträchtigten Menschen

von Gastautor Andreas Mitterbuchner, aus Fachzeitschrift 8 Klang-Massage-Therapie

Klangmassage mit Johann* ist anders. Es ist ihm nicht möglich, sich auf den Bauch zu legen, weniger aufgrund seiner Beeinträchtigung, sondern weil unzählige Stofftiere, an Gummiringen befestigt, seinen Gürtel zieren. Sich von diesen „Gürteltieren“ trennen zu müssen, würde für ihn ein großes Problem darstellen – darum dürfen sie bleiben. Klangmassage kann für Menschen mit Beeinträchtigung sehr viel mehr sein, als nur ein weiteres Therapieangebot, nämlich Zeit und Raum, wo sie wahr- und angenommen werden, wo für einen Moment nicht die physischen und kognitiven Defizite im Fokus stehen, sondern der ganze Mensch in seinem So-Sein.

Seit mehr als zwei Jahren besuche ich Johann wöchentlich in der Lebenshilfe-Werkstatt, um ihm mit Klangmassage körperliche und emotionale Entspannung anzubieten. Das Resultat überzeugt alle, die ihn kennen. Dieser, durch Cerebralparese bzw. die daraus folgende Muskelhypertonie so angespannte Mann, der nur durch seine ganz eigene Gestik und Lautsprache kommuniziert, konnte ein Leben lang nicht entspannen, nicht loslassen – weder körperlich noch emotional. Bei der Klangmassage befindet er sich nach nur wenigen Anschlägen in der tiefen Entspannung und strahlt dabei inneren Frieden aus. Sein Leben hat durch diese „Atempausen für die Seele“ an Qualität gewonnen.

Warum aber berühren uns Klänge so tief?

Ein interessantes Erklärungsmodell dafür bietet Alfred Tomatis, der große französische Hörforscher (HNO-Arzt und Professor für Audio-Psycho- Phonologie in Paris), der feststellte, dass im Mutterleib bereits die seelische Entwicklung beginnt und Fundamente für die Persönlichkeit gelegt werden. Er bezeichnete den intrauterinen Dialog – den rhythmischen Herzschlag der Mutter, ihre Stimme, ihre Darmgeräusche sowie weitere Geräusche und Klänge der Innen- und Außenwelt – als den „Klang des Lebens“, welcher, falls gelungen, Voraussetzung für Lebensbejahung und Liebesfähigkeit ist.

„Wir brauchen nicht weiter nach dem berühmten Nirwana zu suchen: Wir haben es alle gekannt und tragen eine tiefe Sehnsucht danach in uns. Das Paradies ist im Mutterleib“, so Tomatis.

Die klanglichen Eigenheiten im Mutterleib vermitteln Urvertrauen und das Gefühl, „in Ordnung“ zu sein. Kommt ein Mensch mit Beeinträchtigung zur Welt, muss dieser oftmals sehr schmerzlich erfahren, nicht „in Ordnung“ zu sein. Spätere Klangerfahrungen können ihn wieder in Kontakt mit diesem Ur–Vertrauten bringen und dadurch Schutz, Geborgenheit und eine Ganzheit vermitteln.

Michael* ist ein junger Mann mit Asperger Syndrom, einer Form des Autismus. Er nimmt kein Therapieangebot länger als fünf Minuten an und reagiert äußerst sensibel auf körperliche Nähe oder gar Berührung. Rastlos zieht er durch das Haus und brabbelt wenige Phrasen vor sich hin, die einen kurzen Einblick in sein Innerstes offenbaren, ansonsten kommuniziert er nicht. Nur ganz wenigen Menschen zeigt er seine andere Seite. Ich bin einer davon, nicht zuletzt deshalb, weil Michael Klangschalen liebt. Ich erinnere mich sehr gut an das erste Mal, als ich für ihn eine Klangschale anspielte, eine große Beckenschale. Diese plötzliche Wachheit in seinen Augen werde ich niemals vergessen. Auf einmal war er ganz im Hier und Jetzt, als gingen fest verschlossene Türen auf – endlich.

Aus meiner Praxis weiß ich, dass Klang für Menschen mit Autismus eine Brücke sein kann, um Kontakt mit ihrem Umfeld herzustellen, sprichwörtlich „aus sich rauszugehen“. Bei regelmäßiger Anwendung über einen längeren Zeitraum können sowohl das Sozialverhalten nachhaltig positiv verändert als auch Stereotypien abgebaut werden.

In ganz kleinen Schritten, Woche für Woche, konnte ich Michaels Vertrauen gewinnen. Irgendwann setzte er sich zu mir auf das Wasserbett, um den Schalen zu lauschen, mittlerweile ist es ihm eine Freude, sich hinzulegen, sich sprichwörtlich fallen zu lassen. Da liegen wir nun nebeneinander, die Augen entspannt geschlossen und die Beckenschale zwischen uns, ganz ohne Absicht. Er ist bei mir aus eigenem Antrieb, in völliger Freiheit, und dieses Gefühl braucht er, um bleiben zu können. Aus fünf Minuten wurden dreißig, manchmal muss sogar ich nach einer Stunde die Sitzung beenden und ihn auf nächste Woche vertrösten.

Michael ist mir dabei ein guter Lehrer, denn wenn ich mit ihm zusammen bin, weiß ich genau, wie es um mein Befinden steht. Bin ich gehetzt oder mit meinen Gedanken woanders, steht er auf und geht. Bin ich in Wort, Mimik oder Gestik nicht authentisch, ebenso. Für dieses unmittelbare und ehrliche Feedback bin ich zutiefst dankbar.

Klang überwindet Grenzen

Ich selbst kam zur Klangmassage, weil ich in der Begleitung beeinträchtigter Menschen nach neuen Wegen suchte. Immer öfter stieß ich in meiner Arbeit an Grenzen, genauso wie beeinträchtigte Menschen sehr oft an Grenzen stoßen – an innere wie äußere. Grenzen der Motorik, der Wahrnehmung, der Kommunikation, der Gesellschaft, der Fähigkeit, sich selbst zu begreifen als Individuen mit Bedürfnissen, und diese dann auch zu artikulieren.

Musik begleitet mich schon sehr lange als wunderbares Kommunikationsmittel, aber auch Musik kann irgendwann Grenzen spürbar machen und so begab ich mich auf die weitere Suche – nach der Reduktion, dem Wenigen, dem Einfachen, dem Wesentlichen, dem Grenzenlosen. Was ich fand, war ein Buch: „Klangschalen für Gesundheit und innere Harmonie“ von Peter Hess, erschienen im Südwest-Verlag.

Franz*, ein älterer Herr, den ich schon über einen sehr langen Zeitraum intensiv begleite, ist, früher tagtäglich in der Beschäftigungstherapie, jetzt einmal wöchentlich mit den Klangschalen in der Seniorengruppe. Diese Gruppe ist seine Familie, sonst hat er schon lange niemanden mehr. Nach der wöchentlichen Musikstunde im großen Kreis bekommt er meine alleinige Aufmerksamkeit. Klangmassage an sich ist für ihn kein brauchbarer Begriff, ihm geht es vielmehr um das Gesamtpaket.

Eine Stunde in einem geschützten Raum, umgeben von den vertrauten und Vertrauen schaffenden Klängen, dabei die Therapiepuppe im Arm, mit der er liebevoll spricht wie mit einem kleinen Kind. Dabei entwickelten sich unsere gemeinsamen Sitzungen immer mehr zur Biografiearbeit. Immer öfter erzählt er von früher, von Mama und „Dati“, wie er seinen Vater nannte, von gemeinsamen Jahren in der Werkstatt, den gemeinsamen Urlauben und den vielen gemeinsamen Bekannten. Kürzlich ist ein Mitbewohner und Freund verstorben und jetzt nützt Franz die Klangmassage auch immer mehr, um über seinen eigenen Tod nachzudenken und zu sprechen. Er möchte einmal bei Mama und Dati liegen, das ist alles, was er will.

Seit vielen Jahren begleite ich nun Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung mit Klangschalen, und die Klangmassage-Anwendungen sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst – keine gleicht auch nur annähernd der anderen. Diese besonderen Menschen fordern dazu auf, gewohnte Pfade zu verlassen und ganz in ihre individuellen Welten einzutauchen. Wenn man den Mut dazu hat wird etwas Wunderbares entstehen, nämlich ein Dialog, der für beide Seiten unglaublich bereichernd sein kann. Beeinträchtigte Menschen haben sehr viel zu geben und das wird im Klangraum auf wunderbare Art und Weise erlebbar.

*Name geändert

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