Autorin Emily Hess
Der uralte Tempel
Die Fahrt über eine unebene Straße führte zu einem uralten Tempel in den Bergen. Die Mauern waren zerbröckelt, die Farben abgeblättert. Ich sah Menschen, die ihre für mich vollkommen fremdartigen Rituale verrichteten. Es war ein ruhiger Platz und ich hatte vom Berg aus einen wunderbaren Blick auf die tiefgrünen Wälder rundherum. Ich fühlte mich wohl und geborgen, eingehüllt in weibliche Energie, ähnlich wie ich es bereits in einer Marienkapelle in Norddeutschland erleben durfte.
Es handelte sich bei dem Tempel ebenfalls um eine Muttergottheit. Überrascht von den gleichen Gefühlen und Wahrnehmungen, machte ich mir das erste Mal in meinem Leben Gedanken über die Götter – über den Gott der unterschiedlichen Religionen, über Engel und Heilige. Immer wieder in späteren Jahren machte ich die gleichen Erfahrungen an unterschiedlichsten Orten der Welt mit unterschiedlichen Religionen. Es schien eine Einheit zu geben, eine Einheit von Tatsächlichkeit von tatsächlicher Göttlichkeit……von Spiritualität, die über den Gesetzen der Religionen stand. Besonders tief kam ich in Lhasa, Tibet, mit diesem Lebensthema in Berührung.
Das Alte der Erde
Die Ankunft in Lhasa war eigenartig. Ich weiß nicht genau, was ich mir unter einer tibetischen Stadt in 3500m Höhe vorgestellt hatte. Sicher nicht diese Stadt mit breiten, modernen Straßen mit hübscher Randbeleuchtung und auch nicht diese großen kastenförmigen, modernen Häuser und Geschäfte.
Und dann – ein Blick nach links und ich zuckte zusammen. Am Berg lag ein unglaubliches Gebäude: erhaben, riesig, alt und ewig – „der Potala“, der Palast der 1000 Räume. Der Sitz der Dalai Lamas seit Urzeiten. Auch der jetzige Dalai Lama hatte hier gelebt, bevor er nach Indien ins Exil gehen musste. Heute gibt es diesen faszinierenden Blick bei der Einfahrt in Lhasa nicht mehr. Er ist von Hochhäusern zugebaut.
Ganz in der Nähe des Potala, in der Altstadt von Lhasa, hatte ich zusammen mit meinem Mann ein Zimmer in einem ursprünglichen tibetischen Hotel gemietet. Hier gab es sie doch noch, die alten kastenförmigen, weißen Häuser, deren Fenster schwarz umrandet sind. Vor den Türen hangen schwere Tücher, die mit religiösen Zeichen bestickt waren. Überall standen große Räucheröfen – ungefähr 2 m hoch -, in denen Wacholder zur Reinigung der Stadt verbrannt wurde, sodass überall im historischen Lhasa riesige Dampfwolken und unglaubliche Düfte vorherrschten. Meine Augen tränten.
Der Besuch der zum Teil 2000 Jahre alten Tempel auf dem Weg nach Lhasa hatte mich bereits mit vielen unendlich alten Energien in Berührung gebracht. Doch auf das, was mit mir im Potala Palast geschehen sollte, war ich nicht vorbereitet. Langsam ging ich den Weg hinauf zum Eingang . Langsam deshalb, da mir die Höhe bereits jetzt zu schaffen machte. Viele Tibeter sind mit mir unterwegs. Sie gingen ihren Weg ruhig und gelassen. Lange Ketten aus Holz- oder Yakperlen glitten durch ihre Finger. Es waren Gebetsketten, sogenannte „Malas“ – jede der 108 Perlen steht für eine Rezitation des Mantras „Om mani padme hum“ („Ich ehre das Göttliche in der Lotusblüte“).
Ruhig und stetig murmelten sie das Mantra vor sich hin. Mit tiefen Augen schauten sie mich immer wieder an. Nicht neugierig, vielleicht eher ausschließlich wahrnehmend.1
Ich versuchte, mich auf die Stimme unseres chinesischen Guides zu konzentrieren. Aber ich verstand ihn nicht, weder sein Englisch noch ihn selbst. Seine Art kam mit diesen unglaublich alten Räumen nicht in Resonanz. Auch die chinesische Reisegruppe, die um eine junge Frau herumstand, die mit Sauerstoff behandelt wurde, irritierte mich sehr. Sie waren unglaublich laut. Ich war doch hier in einem der wichtigsten religiösen Kraftorte der Welt. Da wollte ich unbedingt meine Ruhe haben. „Es wäre jetzt so schön, wenn ich mich einfach irgendwo hinsetzen und einfach nur wahrnehmen und fühlen dürfte“, so meine Gedanken und Wünsche in diesem Moment. Ich machte mich ganz klein, drückte mich geschickt an den chinesischen Wachen vorbei und saß im weißen Saal des Palastes. Ich weinte. Etwas in mir weinte.
Trotz der vielen Menschen, chinesische Bewacher, Tibeter, Japaner, Europäer, war ich endlich ganz allein in der Halle. Sie war so still. So jenseits aller Zeit – so unendlich alt. Im Märchen hatte ich von „der Alten der Erde“ gelesen. Jetzt wusste ich – hier wohnte sie. . . so mächtig – so – ewig. Ich spürte, dass diese Macht von keinem Menschen, keiner Politik, keinen Kriegen zerstört werden kann. Sie wird einfach warten, warten über die Zeit hinaus.
Sie waren alle da – die Götter und Göttinnen – das Göttliche! Der ganze Kosmos – fühlbar.
Mit schweren Bewegungen verließ ich den Raum. Es war die „Halle der Macht“, die anderen Bereiche, Räume die ich beging, erfühlte, waren leichter, fröhlicher – gegenwärtiger. So intensiv hatte ich mir meinen Besuch des Potala nicht vorgestellt.
Allmählich ging ich wieder zurück zu meiner Gruppe. Der Guide fragte mich streng, wo ich gewesen sei. Unbestimmt zeigte ich hinter mich. Der Chinese schaute mich böse an und forderte mich auf, jetzt aber bei der Gruppe zu bleiben.
Zwischenspiel
Am Ende des Rundgangs dann endlich: Eine Toilette. Wie alle Blasen der Welt meldete sich natürlich auch meine besonders vehement in Momenten, in denen sie genau weiß, dass sie mir damit gehörig auf die Nerven geht. Mit einigem Kraftaufwand benutzte ich die Toilette, denn sie schien mir wirklich sehr gefährlich zu sein: Ein großes Loch in der Erde, darum herum Unaussprechliches und darunter: NICHTS!!! Absolut nichts. Nur Tiefe…. Ich sollte also hier einen Schritt machen über ein Loch, unter dem Tausende von Metern NICHTS war.
Abschied vom Potala
Direkt neben dem großen Tor stand eine riesige bemalte Trommel, die ein Mönch anschlug. Ein tiefer, tiefer Klang erfüllte meinen ganzen Körper mit seiner Macht. Ich nahm Abschied von diesem besonderen Ort.
Mehrere Tage musste ich nach diesem zutiefst spirituellen Erlebnis mit hohem Fieber das Bett hüten. Riesige Fratzen bevölkerten meine Fieberträume – Affenfratzen! Vielleicht waren es nur die Wandmalereien in meinem Zimmer.
Wenn du Interesse am ersten Teil der Reise von mir hast, lies gerne hier weiter…
Ich habe meine Reiseerfahrungen in das Konzept meiner Urvertrauen Seminare einfließen lassen, weil mir immer wieder spürbar wurde, wie wichtig ein gesundes Urvertrauen für die Gestaltung unseres Lebens ist. Wenn du darüber mehr erfahren möchtest, lies gerne hier weiter…
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2 Gedanken zu „Blogreihe Urvertrauen: Spiritualität und Urvertrauen – Teil 4: Der uralte Tempel in Tibet“